Wie wir auf dem Bild* sehen, ist dem Korbinian Huber die Fasnacht ja schon in die Wiege gelegt worden.
Dies war für alle, die den Kleinen besuchten und ihn einmal sehen wollten, ein ungewohnter Anblick. Der Eifer, mit dem die Eltern sein Bettchen und das Kinderzimmer schmückten, war so enorm, dass man den kleinen Korbinian ob der reichhaltigen Dekoration erst auf den zweiten Blick erblickte.
„Wir möchten“, sagten Hedi und Franz Huber, „dass unser Sohn einmal das Erbe weiterführt. Wir sind auf der Reichenau eine alteingesessene Familie, die dem örtlichen Brauchtum schon immer verpflichtet ist. Und unser Sohn soll so früh wie möglich spüren, dass dieses Erbe nicht nur Freude, sondern auch Bürde sein kann. Mag diese Dekoration für manche zu üppig erscheinen, für unseren Korbinian soll es heute schon bedeuten, dass es einem in den närrischen Tagen nie zu viel werden darf. Franz, sag doch auch mal was.“
„Genau, auch mir wurde schon was ins Bettchen gelegt.“
Hedi Huber hatte gleich nach der Geburt für alle Besucher nicht nur den Stammbaum der Familie, sondern auch viele Bilder und Fotoalben bereitgelegt. „Hier mein Urgroßvater Karl mütterlicherseits, ein begnadeter Glühweinabschmecker, und es gab während der ganzen Jahre nur zwei Vergiftungen“, erklärt die Hedi aufgeregt. „Oder hier, schau mal, unsere Großtante Augusta.“ Das vergilbte Bildchen zeigt ein sehr molliges Mädchen mit einem etwas mürrischen Gesichtsausdruck. „Sie war das erste Tanzmariechen auf der Reichenau. Sie hatte viele Verehrer. Das glaubt man gar nicht, aber das Bild ist ja auch in schwarz-weiß.“
„Früher war man halt noch mit dem zufrieden, was man hatte“, sagt der Franz. „Unser erster Narrenbaum war gerade mal 6 Meter hoch, und bei der ersten Elferratssitzung gab es eine Schlägerei. Wenn man bedenkt, wie die Sitzungen heute immer so harmonisch ablaufen, kann man das gar nicht glauben.“
Was diese Familie an Brauchtumspflegern und Persönlichkeiten der heimischen Fasnacht aufzuweisen hat, ist schon beeindruckend. Nicht weniger als siebenmal stellten sie den Narrenpräsidenten, zwölf Frauen wurden vom Fasnachtsverband ausgezeichnet, weil sie die schönsten Puppen für die Verbrennung der Fasnacht gestalteten.
„Der Hubert, ein Bruder von meinem Urgroßvater Kornelius, war ja der Erfinder des heutigen Weckerwagens“, meint der Franz. „Diese ersten Wagen muss man sich natürlich noch etwas einfach in ihrer Ausführung vorstellen anno 1897. Der Hubert musste einen Waschkessel zu einer Trommel umbauen, und sein Bruder spielte Blockflöte. Bis sie mit dem Heuwagen richtig loszogen, war es schon halb neun, und die meisten Reichenauer brauchten auch nicht mehr geweckt werden. Aber es war etwas Besonderes, und wie wir sehen, hat der Weckerwagen noch heute seinen festen Platz in der reichenauer Fasnacht.“
„Und in unserer Familie auch“, sagt die Hedi stolz, „und darum haben wir für den Korbinian schon einen stattlichen Hänger bestellt. Er soll sich ja vor seinen Vereinskameraden nicht blamieren müssen.“
Die Patentante, eine Böhler, steht vor der Wiege und schnuppert: „Aber in die Hose scheißt er sich halt doch noch wie alle Hubers. Das bleibt bei euch auch Tradition.“
*Die feinfühlige Darstellung der Wiege des Korbinian Huber wurde vom bekannten Maler und Fotografen Didi Becconi nachempfunden. Die Dekoration weicht vom Original ab, da es dem Künstler widerstrebte, ein Neugeborenes dermaßen einzumüllen.
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